Abbremsen von Güterzügen am Gotthard

  • Wie von Röbi schon erwähnt war ich und meine Jungs mit dabei auf der Reko-Tour am Gotthard: Exkursion Gotthardbahn-Nord am 23.08.2014


    Dabei hat uns auch ein weiteres Thema beschäftigt:
    Wie werden die Güterzüge bei Talfahrt gebremst? Wir waren uns dabei einig, dass Loks in der Lage sind, die kinetische Energie via Fahrmotoren in Strom umzuwandeln. Wir waren uns auch einig, dass die Loks bei Talfahrt durch Rekuperation weniger Energie aufnehmen können als sie bei der Bergfahrt ans Gleis abgeben.
    Wo wir uns nicht einig waren, bzw. nicht abschliessend eine Lösung gefunden haben: Sind aktuelle Loks in der Lage und/oder ist es sinnvoll, den Zug auch mit Energie aus der Fahrleitung abzubremsen (stark vereinfacht gesagt, wird der Motor umgekehrt zur Fahrtrichtung mit Energie versorgt)?


    Gruss
    Teddy
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    Wie kann die Digitalspannung korrekt gemessen werden?

  • Entscheidend ist welcher Loktyp gemeint ist. Einige Techniken der elektrischen Bremsen sind in Wikipedia beschrieben.

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Sind aktuelle Loks in der Lage und/oder ist es sinnvoll, den Zug auch mit Energie aus der Fahrleitung abzubremsen (stark vereinfacht gesagt, wird der Motor umgekehrt zur Fahrtrichtung mit Energie versorgt)?


    Dies ist nach meiner Überzeugung physikalisch unmöglich, weil es dem Energie-Prinzip widerspricht.
    Wenn man einen Zug von Erstfeld nach Göschenen hochzieht, bezieht man Energie aus der Fahrleitung. Ein Teil der Energie geht durch Verluste (Wirkungsgrad, Reibung, Luftwiderstand) verloren (oder genauer gesagt wird letztlich in Wärme umgewandelt und heizt die Umwelt auf). Die verbleibende Energie (das dürfte so um 1/3 bis 1/2 der bezogenen Energie sein) steckt nun als potentielle Energie im Zug, weil er sich jetzt 636 Meter höher befindet als in Erstfeld.
    Wenn man nun mit dem Zug wieder hinunterfährt, muss diese im Zug steckende potentielle Energie kontrolliert umgewandelt werden (sonst passiert ein Unglück). Die Umwandlung dieser Energie erfolgt entweder direkt in Wärme (Bremsklötze) oder in elektrische Energie. Im zweiten Fall wird die elektrische Energie in Widerständen auf dem Dach der Lok (sofern vorhanden) verheizt oder in die Fahrleitung zurückgespiesen.


    Was nicht möglich ist: Man kann nich die Energie des Zuges vernichten, indem man noch Energie von der Fahrleitung bezieht um ein rückwärtiges Drehmoment der Motoren zu erzeugen. Das würde bedeuten, dass man beide bezogenen Energie-Anteile (das des Zuges und das was man zusätzlich aus der Fahrleitung bezieht) verheizen müsste. Wenn das ginge, müssten die Motoren innerhalb von wenigen Sekunden so heiss werden, dass das sofort zu deren Zerstörung führen würde. Es gilt hier zu beachten, dass Energie keine vektorielle Grösse ist (wie z.B. eine Kraft). Man kann also nicht aus der Fahrleitung Energie beziehen und diese quasi als Gegen-Energie gegen die aus den Achsen anfallende Energie wirken lassen.

  • Grundsätzlich wird heute zuerst elektrisch gebremst. Aber gerade am Gotthard reicht das nicht immer aus, so muss dort auch pneumatisch gebremst werden was auch viel mehr Geschick vom Lokführer abverlangt.


    Bei der anderen Frage stimme ich Röbi zu. Der Motor dreht ja mit bei der Talfahrt und fungiert zum Generator, dessen erzeugte elektrische Energie muss nun kontrolliert umgewandelt werden (in Wiederständen oder via Rekuperation). Speist man nun den Motor mit Energie muss wächst der gesamtw Energiebedarf bei der Talfahrt, d.h. es muss nich mehr Energie "vernichtet" werden. Das geschieht im schlimmsten Fall wohl mit einem Motorenbrand, im etwas besseren Fall drehen die Räder rückwärts oder stehen still und erhöhen so den Reibungswert. Das erhöht die Wärmeabgabe aber auch den Rad-/Schienenverschleiss.

  • In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an den Bericht eines guten Kollegen, der aus einem hinteren Waggon des von einer Ae 6/8 gezogenen, talwärts fahrenden Zuges beobachtete, wie die Widerstände auf dem Dach der Lok feuerrot glühten.

  • Mit der schlüssigen Erklärung von Röbi ist eigentlich alles gesagt: Bei der Abwärtsfahrt wandelt man die Energie die man durch den Höhenunterschied gewonnen hat in Wärme oder - schlussendlich - wieder in Bahnstrom um. Ich habe mal gehört, dass mit der abgegebenen Energie von zwei bremsenden, bzw. talwärtsfahrenden Loks eine Bergfahrt geleistet werden kann.

    Gruss Roger


    95 von 121 grünen Ae 6/6


    Die Katze schläft im Lärm; nur die Stille weckt sie, wenn die Mäuse rascheln.

  • Ich habe mal gehört, dass mit der abgegebenen Energie von zwei bremsenden, bzw. talwärtsfahrenden Loks eine Bergfahrt geleistet werden kann.


    Das scheint mir eine leicht optimistische Schätzung zu sein. Ich würde eher sagen, dass die rückgewonnene Energie von zwischen zwei und drei talfahrenden Zügen eines bestimmten Gewichtes für die Bergfahrt eines Zug mit dem gleichen Gewicht ausreicht. Ich denke, es sind einfach zu viele Verluste (Wirkungsgrad, Reibung und Luftwiderstand der talfahrenden Züge, Verluste beim Energie-Transport in der Fahrleitung, und dann wieder Wirkungsgrad, Reibung und Luftwiderstand des bergfahrenden Zuges) vorhanden, als dass das Verhältnis 50% sein kann. Deshalb schätze ich das Verhältnis auf ca. 35 bis 40%.

  • Gemäss Wikipedia haben beide Recht ;)
    Normalerweise liegt der Wirkungsgrad bei 25% bis 30%. Deutlich mehr erreichen Drehstromantriebe (wie JB oder Gornergrat), dort sind in der Tat bis 50% möglich.

  • Normalerweise liegt der Wirkungsgrad bei 25% bis 30%. Deutlich mehr erreichen Drehstromantriebe (wie JB oder Gornergrat), dort sind in der Tat bis 50% möglich.


    Ich glaube die beiden Sachen darf man hier nicht 1:1 vergleichen. Bei der Jungfrau- und Gornergratbahn sind die Geschwindigkeiten klein und damit die Verluste durch Luftwiderstand vernachlässigbar. Dort laufen die Motoren bei der Talfahrt ganz leicht schneller als das Drehfeld (negativer Schlupf) und dabei ist die Geschwindigkeit praktisch konstant. Das ist eine grosse Einschränkung, die wir bei der Rekuperation, wie sie bei den grossen Bahnen (SBB, BLS) funktioniert, nicht haben.


    Da wir hier ja gemäss Thread-Titel am Gotthard sind, darf man JB und GGB nicht zur Beantwortung dieser Frage beiziehen.

  • Nachdem ich nun auch Seitenweise zu diesem Thema gelesen habe gebe ich auf: Röbi, du hast gewonnen. Zum Glück haben wir nicht gewettet.


    Gruss
    Teddy
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    Teddy on Tour

  • Hallo zusammen


    Elektrisch bremsen ist das eine, natürlich ideale - nur geht das nicht immer (Gleisgeometrie) bzw. reicht nicht aus/nicht bei allen Lokomotiven. Grundsätzlich gibt es el. Bremsen schon seit dem Krokodil - nur reichte damals diese eigentlich nur aus, um die Lok selbst zu bremsen. Die Re 6/6 hat demgegenüber eine sehr gute el. Bremse - deren Entwicklung sei eine ganz abenteuerliche Sache gewesen - mein Elektrotechnikdozent an der Technikerschule war damals Assistent an der ETH, als diese dort entwickelt wurde.


    Wichtig scheint mir noch die Beschreibung des pneumatischen Bremsens zu sein: Bei langen Gefällen ist dies die Sägezahnmethode, mit dieser werden die Güterzüge gerade auch am Gotthard gebremst, wenn die el. Bremse nicht ausreicht: Der Zug wird bis zu einer tiefen Geschwindigkeit abgebremst (gemäss Link unten 60s) dann die Bremsen wieder gelöst (für 90s), danach wieder von vorne. Dies ergibt dann ein Geschwindigkeitsprofil, welches einem Sägeblatt gleicht; die Durchschnittsgeschwindigkeit ist dann entsprechend kleiner als die zulässige Geschwindigkeit. Zwei Dinge werden dadurch allerdings erreicht: Der Zug wird effektiv und sicher gebremst und es ist sichergestellt, dass auch wirklich alle Bremsen am Zug auch ganz gelöst sind und entsprechend abkühlen können - bis es wieder losgeht. Die Druckluftbremse reagiert eben stark verzögert - es dauert, bis die Bremse des letzten Wagens eine langen Zuges reagiert. Dagegen haben Personenzüge (ich meine die erste Generation der Zürcher S-Bahn als eine der ersten in der Schweiz) eine ep (elektro-pneumatische) Bremse, die ein elektrisch gesteuertes Bremsventil in jedem Wagen aufweisen; alle Bremsen reagieren dann gleichzeitig.
    In den Tourenbeschreibungen von Bruno Lämmli ist die Sägezahnmethode beschrieben: http://www.lokifahrer.ch/Erstfeld/tour_18.htm.


    Zur el. Bremse noch weitere Details, die mir so in den Sinn kommen:


    - Die BLS führte ja auch die 3000t Tonzüge über den Lötschberg, über die Nordrampe in zwei Teilen, und dann wieder als ein Zug über die Südrampe - dabei wurden die Loks in Kandersteg/Goppenstein (weiss nicht mehr wo) so gruppiert, dass für die Talfahrt 2 Loks hinten waren - um eben mit max 600kN bremsen zu können und entsprechend viel Strom zu "produzieren".


    - Die Traxx haben länderabhängig nicht die gleiche Bremskraft! Kein Witz, aber in der Schweiz können diese mit 300kN bremsen, in Deutschland "nur" mit 150kN - das hat historische Gründe, ist man doch in Deutschland vorsichtiger.


    - Mit der maximalen Bremskraft ist das wirklich so eine Sache - es gab eine Zeit (vor ca. 12 Jahren?), wo sich Unfälle häuften und das Thema auch in den Medien auftauchte. Mir ist der Unfall in Wassen in Erinnerung, wo es einen - nach meiner Erinnerung Sputnik - regelrecht aus dem nordwärtsfahrenden Zug gedrückt hatte. Der Zug war von 2 460er geführt bzw. gebremst worden.


    - Gerade die el. Bremse ist heute ein Handicap der Re 425 - durch ihre aus heutiger Sicht überholte Gleichrichtertechnik ist es nicht möglich, Energie zurück zu speisen - deshalb auch die grossen Dachwiderstände.


    Gruss Christian


    PS: Sorry übrigens wegen dem Wirbel, den mein Input zum Datum ausgelöst hat :supersad:

    Gruss Christian


    Meine Fotos; Eisenbahnen (Schwerpunkt Gotthard) und Dampfschiffe: https://www.flickr.com/photos/134896793@N03/ - aktuelles Avatarbild zur Erinnerung an den im Schnee versunkenen Gotthard am 17. April 1999.

  • Ich hoffe, du bist überzeugt und nicht nur überschnörret.


    Deine Argumentation ist einleuchtend. Und ich habe im Netz gar nichts zu meiner (Schnapps-?)Idee gefunden.


    Gruss
    Teddy
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    Rückmelder-Typen

  • Hallo zusammen


    ein interessanter Thread, und da kann ich auch noch etwas beitragen:


    Die Entwicklung der Rekuperationsbremse ist beeindruckend: die ersten elektrischen Lokomotiven wie z.B. das Krokodil konnten "nur" ihr eigenes Lokgewicht elektrisch bremsen. Zwei Generationen später waren die Ae 6/6 bereits imstande, ihren halben Zug (von 600 t) elektrisch zu bremsen (300 t). Und wie Christian / 11652 bereits geschrieben hat, ist die elektrische Bremse von modernen Loks eigentlich viel zu stark, so dass es am Gotthard zu einer spektakulären Entgleisung gekommen ist. Hinter einer Doppeltraktion Re 460 waren ein oder mehrere Sputnik eingereiht. Damals war es üblich, bei der Talfahrt auch mit schweren Güterzügen den Zug rein elektrisch in Beharrung (auf der gewünschten Geschwindigkeit) zu halten. Das führte dazu, dass der/die Sputnik hinter den Loks vom schweren Güterzug in einer Kurve regelrecht aus den Schienen gedrückt wurden. Seither ist die elektrische Bremskraft begrenzt (interessant dabei: eine Re 460 "weiss", wenn sie einen Zug schiebt; dann ist die Bremskraft stärker, als wenn sie an der Spitze des Zuges ist).


    Die braunen BLS Re 4/4 haben - wie übrigens auch die älteren BLS Loks - keine Rekuperationsbremse, sondern sie "verbraten" den beim Bremsen produzierten Strom auf ihren Dachwiderständen. Der Grund ist meines Wissens aber nicht die Gleichstromtechnik, sondern dass die Lötschbergstrecke damals noch einspurig war. Im gleichen Fahrleitungsstromkreis gab es also keinen gleichzeitig bergwärts fahrenden Zug, so dass keine elektrische Bremsenergie in die Fahrleitung zurückgespiesen werden konnte. Heute ist das anders, aber als die "Bruneli" beschafft wurden, konnte eine Rekuperationsbremse am Lötschberg mangels "Abnehmer" nicht genutzt werden (auch von den betr. SBB-Lokomotiven nicht).


    Und heute bremsen moderne Triebzüge wie der Flirt im normalen Fahrbetrieb bis fast zum Stillstand rein elektrisch. Erst bei ca. 3-5 km/h schaltet sich die Luftbremse dazu, auch um den Zug dann im Stillstand "festzuhalten".


    Viele Grüsse
    Peter

  • Dann kann ich gleich noch eine Frage anhängen. Mir ist aufgefallen, dass die Re 460 im Stand jeweils die Magnetschienenbremse unten hat. Ist sie in dieser Position dann auch automatisch aktiviert?

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.