Der Schienenbieger

  • Dieser Bericht über Walter Wittwer passt genau zur IPA die ich bei der VBZ betreue, er biegt, genau wie der Lernende, Schienen.


    Jetzt bin ich mit Begriffen wie Klothoide, Kopfdruck, Rillendruck, Gleisjoch, GHT290-CL, Laschenloch, Schemel usw. vertraut. Rein theoretisch müsste ich in der Lage sein ein solches Streustromisoliertes Gleisjoch zu biegen und montieren. Aber wirklich nur rein theoretisch, in der Praxis gibt es bestimmt die eine oder andere Stolperfalle in der ich trotz meinem mechanischen Grundlagenwissen hängen bleiben würde.


    Nur schon das Handling einer 18m Standardschiene ist nicht ohne. Das Metergewicht einer solchen Rillenschiene beträgt 60kg, die ganze einzelne Schiene wiegt also bereits 1080kg.


    Den Begriff Klothoide kennt Oski sicher, eigentlich müsste er jedem Modellbahner bekannt sein. ;) Alle Ingenieur Kollegen wussten nicht was das ist. Ok, ich anfänglich auch nicht, musste es auch zuerst googlen.

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Den Begriff Klothoide kennt Oski sicher

    Das ist so. Im Vermessungsunterricht an der Fachhochschule war das gegen Ende der Ausbildung ein Sahnehäubchen. Leider können das viele Berufskollegen in der Praxis nicht mehr umsetzen, obschon es mittlerweile exzellente Programme zum Einrechnen einer Weichengeometrie in einer gebogenen Gleislage gibt. Aber was soll's? Auf meiner Anlage im Keller gibt es keine Klothoiden, ich ersetze das Konstrukt durch Vorbogen und Hauptbogen, das sieht man 1:87 nicht und die Querbeschleunigung ist bei den vorhandenen kleinen Massen völlig egal. Die Modellbahn schleudert aus andern Gründen hin und her.

    Dein Bericht ist jedenfalls interessant, besten Dank.

    Gruss Oski

    signatur_egos.jpg

    ...auch Nichtraucher können süchtig sein nach Zündhölzern!

  • Ja, interessant. Auch mir begegneten Klothoiden am Anfang meines Berufsleben in der Lehre als Vermessungszeichner einmal flüchtig. Beim Vermessen (oder Bestimmen) von Strassen in der Bauvermessung. Mein Lehrmeister nannte diese Kurven aber ‚Perimeter‘… Wie auch immer meinte er genau diese Linien.


    zum Glück muss ich mich bei der Modellbahn - und anderswo - damit nicht herumschlagen…;)

    Gruss Roger


    95 von 121 grünen Ae 6/6


    Die Katze schläft im Lärm; nur die Stille weckt sie, wenn die Mäuse rascheln.

  • Gleisbau in 1:87: Wenn ich nun einen Übergangsbogen zwischen einem geraden Gleis und einem Gleisbogen mittels elastischem an der Geraden fixierten Holzproflil aufzeichne, ist das Resultat (d.h. der aufgezeichnete Übergangsbogen) dann praktisch auch eine Klothoide?

    Gruss, René

  • Was ich noch vergessen habe, es beeindruckte mich wirklich. Der kleinste Schienenradius bei der VBZ ist etwas mehr als 14m, in H0 etwas mehr als R160. So kleine Radien hat nicht einmal das Luna Schienenprogramm für die Navemo Trams im Angebot. Ich muss nächste Woche noch nachfragen welches Tram durch so einen kleinen Radius passt. Gemäss Aussage von einem Kollegen muss es beim Tramdepot Kalkbreite auch einen sehr kleinen Radius geben, der letztendlich nachgebessert wurde, da es immer wieder zu Problemen kam. Für diese engen Radien werden Schienen mit einer Länge von 9m verwendet, also die Hälfte von der 18m Standardschiene.


    Einen Biegeplan hing an der Biegmaschine, die Klothoide begann bei etwa Radius 276m und endete in einem Radius von mehr als 1100m. Auf den Biegeplänen sind die Radien in Millimeter angegeben also je nach Grösse auf 5 bis 6 Stellen genau. Zum Beispiel Radius 256'377.


    Als Messinstrument für die Klothoide gibt es bei der VBZ einen Klothoidenstab, einfach ein Stück Holz in der passenden Länge. In Basel macht man das anscheinend mit einer Schnur und Knoten.


    Wenn ich nächstes Jahr die Prüfung für die Montage einer Weiche betreuen darf, kenne ich bereits einiges im Bereich der Schienen bei der VBZ. Das Bearbeiten der Radsätze für Trams durfte ich begleiten, den Anbau und Revision der Antriebe und Entwässerungskästen an einer Weiche und aktuell den Bau eines Schienenjochs.

    Gruss Erwin



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  • Gleisbau in 1:87: Wenn ich nun einen Übergangsbogen zwischen einem geraden Gleis und einem Gleisbogen mittels elastischem an der Geraden fixierten Holzproflil aufzeichne, ist das Resultat (d.h. der aufgezeichnete Übergangsbogen) dann praktisch auch eine Klothoide?

    Hier ist es für den Bahnbau erklärt. Und hier für den Strassenbau. Hier eine Morop Norm für die Modellbahn. Die typischen Modellbahnschienen gehen direkt von der Geraden in den Radius über. Setzt man Übergangsradien spricht man von Klothoide, ich bin mir nicht sicher ob das bereits ab einem einzigen Übergangsradius so genannt wird.


    Deine Methode wäre die in Bild 6 gezeigte Methode von Morop und ist dann definitiv eine Klothoide.

    Gruss Erwin



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    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Danke Erwin, genau das meinte ich. Allerdings ist der physikalische Effekt des Übergangsbogens für die Dynamik meiner H0-Fahrzeuge wohl vernachlässigbar.


    Interessant ist, wie die Rillenschienen für enge Radien vorgebogen werden, habe ich bis heute nicht mitbekommen; ganz im Gegensatz zu (z.B.) gängigen Schienenprofilen für N- oder M-Spur. Ich denke da spontan an die Züge für Langschienentransport und wie sich diese während der Fahrt jeweils dem Gleisbogen anpassen.
    Ich kann mir vorstellen, dass Rillenschienen schon auf Grund der Form ihres Querschnitts nicht so ohne weiters biegbar sind ...


    Viele Informationen zum Gleisbau beim Vorbild findest du übrigens auch in den Ausführungsbestimmungen zur Eisenbahnverordnung (AB EBV). Dies ist allerdings ein sehr theoretisches Werk von weisendem Charakter. Aber trotzdem ... (*pdf der AB EBV runterladen, dann ab Art 16, geometrische Gestaltung der Fahrbahn). Wie gesagt, sehr komplex, aber interessant. Aber nur öffnen, wenn du dazu Lust hast :D

    Gruss, René

  • René, Danke für den Link. Uneingeschränkt können die Wagen auf Normalspur ab Radius 150m verkehren, das ist in H0 R1724, in Spur 1 R4687.5. Erstaunlicherweise ist eine Spur 1 Anlage mit R3000 viel näher am Vorbild als eine typische H0 Anlage.


    Ansonsten Vorschriften und Vorgaben ohne Ende. ;) Es leuchtet mir ein, dass es ohne kaum funktioniert.

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Betreffend den 14m Radien bei der VBZ, diese sind typischerweise nicht auf der Strecke zu finden, eher bei den Depots und Depoteinfahrten. Bis und mit Cobra passt alles durch die 14m Radien, beim Flexity war er sich nicht sicher. In Basel soll es Radien bis 9m herunter geben.

    Gruss Erwin



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  • René, Danke für den Link. Uneingeschränkt können die Wagen auf Normalspur ab Radius 150m verkehren, das ist in H0 R1724, in Spur 1 R4687.5. Erstaunlicherweise ist eine Spur 1 Anlage mit R3000 viel näher am Vorbild als eine typische H0 Anlage.


    Ansonsten Vorschriften und Vorgaben ohne Ende. ;) Es leuchtet mir ein, dass es ohne kaum funktioniert.

    Erwin, was heisst uneingeschränkt?

    Ich würde Deine interessante Feststellung umgekehrt auslegen: dass schon vor 40-60 Jahren: die erfahrenen Modellbahner mit Sinn für Realitäten, Gespür für Machbarkeit und zudem noch meist verheiratet, als Illusionen-Zerstörer fungierten ;);(:facepalm:.


    Diese Herren liessen verlauten: bau doch das WB Depot in Liestal nach, ohne SBB-Bereiche. Oder sonst einen kleinen Teilbereich einer Nebenbahn, wenn Jugendliche in Sachen Modellbahnen vom Zürcher (Basler) Hauptbahnhof sprachen welcher gebaut werden soll, und von der damals neu ausgeführten SBB Linie Killwangen-Heitersberg für immerhin 140 km/h. Dessen Gleis, wohlverstanden als Minimum(!) bereits 1000 Meter Radius hatte, gegenüber dem Gotthard mit 300 Meter Radius für 75 km/h. Jedoch will man mit 300 - 400 km/h daher sausen, werden 4-5 Km als Mindestradius(!) benötigt.


    Nachteilig für den Modellbau, die Kräfte wirken bekanntlich exponentiell. Ausgehend vom Gotthard: 300 Meter Radius für 75-80 km/h ergibt der doppelte Radius von immerhin 600 Meter bei weitem keine 150 km/h, sondern grob geschätzt nur ca, 105 km/h herum.


    Mit anderen Worten: Trambahnen, Depotzufahrten, Industrieanlagen, haben real 1:1 effektiv manchmal einen deutlich kleineren Gleisradius, bis nur 25 - 9,0 Meter, als eine korrekte massstäbliche Modellbahn-Darstellung einer ICE tauglichen 300 km/h Strecke. Spur I (R = 4,1 Km : 32 = 125 Meter!!!) oder in H0 47 Meter Radius. Ein Oval demzufolge Spur I 250 Meter und in H0 mit 94 m, also knapp 100 Meter.

    :lol:


    Unvergessen bleiben die EA Fotos einer störrischen Ae 4/7, welche nicht verschrottet werden wollte. Genützt hat es nichts, das Personal hat die inneren beiden Triebachsen um ca 1/3 abgetrennt, um die Radien ihrer Gleisanlage nicht zu schädigen. Es war für die letzten 50 Meter eine Ae 2/7. Die weit überhöhte Achslast spielte in der Situation keine Rolle mehr.


    Doch auch der absolut korrekte massstäblichen Modellbau kann sich nicht aus der Vernunftsfalle befreien... Modellbahner sitzen alle im gleichen Boot. Eigentlich sind die Korrekten noch eine Spur verrückter, da die korrekte Darstellung noch mehr Aufwand jeder Art erfordert, für am Schluss bezüglich der Vernunft?... Kunst darf (oder sogar muss?) das, da fragt niemand nach Vernunft. Eine naiv kindliche Bahn bewegt sich einfach deutlich näher am Fantasiebereich, ist dafür einfacher und mit weniger Aufwand erreichbar. So kann jeder nach seiner Auffassung glücklich werden.


    Gruss

    Hermann

    Analog ist cool:)