jedem seine Drehscheibe
Man hat an einer Auktion oder im Laden durchaus die Möglichkeit, GANZE Sachen zu kaufen, welche auch funktionieren. Im Fachgeschäft erhält man auf Neuware erst noch immerhin 2 Jahre Garantie.
Kürzlich habe ich dem Benschy geraten, kaufe die billig angebotene Roxy nicht, falls er noch die Wahl hatte. Auch müsste eigentlich die Erfahrung vom Phantom II, wo wegen wurmstichigem Holz beinahe die damalige Freundin verloren ging, als Schreck-Erinnerung sein, sprich sie krachte durch den Boden(!), und sie hat nach dem ihr Schreck etwas verflogen war, die Kühnheit zu fragen: hast du das extra gemacht? Mit 51 Kilo war sie sicher nicht übertrieben schwer. Der Citroen DS bremste ende Sommer am Susten nicht, auch hat es mir beim fahren vom Starkstrom-Zug im Juli leicht eins gezwickt, usw...
Eigentlich müsste ich schon längstens zu einem Digital Fan mutiert sein, oder wenigstens bei allem was alt ist, Kabel, Räder und Relais hat, vor Schreck schnell wegrennen, oder es wenigstens nicht beachten. Bei Bern, Seite Fribourg hat Thommen eine grosse Niederlassung für Alteisen-Wiederverwertung, genau dort gehört alter Grümpel hin, - wenn man vernünftig wäre...
Ich kann es nicht lassen, "Gefahren" bringen auch Chancen und man vergisst mit der Zeit, die Mühsamkeit, wenn etwas nicht sofort "geht". Man war ja vorgewarnt, wenn an einer Auktion etwas ganz tolles niemand anderst will, so viele Interpretation dazu gibt es nicht: "die anderen kommen nicht "drus". Oder die Kultur was toll ist, hat sich verändert, oder aber viel mehr irgend etwas stimmt an der Lok nicht und die potentiellen Mitbieter sind ja nicht blöd und bleiben vernünftig, weil die Lok schlicht defekt ist und niemand getraut sich das Ding zu kaufen. Ich muss beim sammeln aufpassen, dass der Anteil defekter, nicht funktionierender Loks nicht zu gross wird, meistens landen die im Bastelkistli und tauchen nie mehr auf, bis man selber im Himmel bei den schönen Engelinnen anklopft.
Die Rede ist von einem Spur I Modell der SBB Ae 3/6 II, welches an der Auktion ausser mir niemand anderst wollte.
Angeblich stammt das Modell von einem damaligen Maschinenbau Ingenieur, alles deutet darauf hin, dass das so war. Das Modell sei etwa gleich alt, wie sein Vorbild, also etwa 90 jährig. Das Vorbild stammt von 1924-1926. Ich habe ja schon viel gesehen, aber so was noch nie...
Es ist sozusagen ein Digital Modell von 1930 auf elektromechanischer Basis. Vergleicht man die besten Märklin Loks seiner Zeit, welche ja schon berühmt für ihre dauerhafte Qualität sind, und dieses Modell von 1930, da liegen Welten in der Ausführung. Dieses Modell dürfte 1930 dem Erbauer ein Vermögen an Geld, Zeit und Aufwand gekostet haben. Aber es beweist: Massstäblicher Modellbau war schon immer möglich, auch vor 90 Jahren. Nur passte die Kultur damals nicht dazu, man brauchte das Geld für Wichtigeres, als für exakte Modellbahnen.
die wichtigsten technischen Eckpunkte dieser Lok:
- Vorbild SBB Ae 3/6 II, Modell Spur I im Massstab 1:32
- sämtliche Achsen sind gefedert, auch die Laufachsen(!)
- Laufachse / Drehgestell nicht à la Märklin funktionslos angehängt. Die Abstützung stimmt bis ins kleinste Detail exakt zum Vorbild.
- 2 Motoren, je 5-polig. Relativ enger Volt-Bereich. Unter 14 Volt und bereits über 17-18 Volt laufen sie schlecht, bei 16 Volt perfekt.
- Die Eingangsspannung beträgt 220 Volt!!!
- der Trafo ist nicht wie üblich als ein externer separater Teil der Anlage, sondern der Trafo befindet sich IN der Lok.
- mindestens 6 Stk(!) Relais sind in der Lok verbaut. Teils am auseinander fallen, teils noch gut.
- ähnlich dem Vorbild funktioniert die Lok über eine Stufenschalter-Mechanik! (Was nach 90 Jahren reichlich Probleme verursacht).
- der Lok fehlt ein Digital Decoder oder noch besser eine Funkfernsteuerung mit Servomotor, welche den Stufenschalter bedienen würde.
Der Erbauer muss ein riesiger Fan der Ae 3/6 II gewesen sein, am Laufdrehgestell hat es separate Schleifer, links = Stufenschalter abwärts, rechts Stufenschalter aufwärts. D.h. fährt bisher nicht wirklich "frei", sondern genau so wie auf der Gleisanlage die Kontakte verteilt sind. Jede Berührung rechts erhöht das Tempo, jede Berührung links senkt das Tempo. Eine Schnellabschaltung hat es keine, soll die Lok anhalten, sind etwa 8 Stufen notwendig. Das Relais schaltet nur 1 Stufe vorwärts oder Rückwärts. Der Erbauer muss von seiner Arbeit sehr überzeugt gewesen sein, liegen doch konstant 220 Volt Grundspannung am Gleis (Mittelleiter) oder am Stromabnehmer. Das Modell kann wahlweise per Mittelleiter Schiene, oder "richtig" per Oberleitung bedient werden.
Offenbar musste das Modell über den Märklin Radius fahren (Durchmesser 180 cm) das reicht nie und nimmer für eine Massstäbliche Ausführung. Also hat der Erbauer die Krokodil Technik angewendet. Aber unsichtbar innerhalb vom Gehäuse: Der Rahmen ist 2-teilig. Vom Trafo an bis und mit Laufdrehgestell ruht das Gewicht auf einem separaten Chassie, welcher via Brücke auf dem Hauptrahmen aufliegt.
JEDES Kabel hat ein winziges Kartönchen mit sehr schöner Handschrift beschriftet. Schade existiert kein Plan dazu. Mit der Zeit kann man alles selber heraus finden, aber es war eine mühsame Angelegenheit. immer wieder hätte ich zwischendurch am liebsten das Modell zum Fenster raus geschmissen.
Nun läuft das Modell ganz ordentlich. Hoffentlich für längere Zeit. Die Lok braucht nicht nur 3.5 Ampere Strom, die braucht genau so viel Oel! Ausnahmsweise nicht sparsam, sondern sehr reichlich oelen, es hat unglaublich viele Lagerstellen. So kamen die Ampere auf einen halbwegs tauglichen Wert hinunter. Die Triebstange ist äusserst präzise ausgeführt, anderst als bei Märklin Loks besteht an den Zapfen kein Spielraum. Heute Nacht träumt es mir vielleicht von eingetrockneten spröden Kabeln...
Hauptsache, das schöne Modell läuft wieder. Erst noch so wie ich es haben will. 220 Volt will ich nicht auch noch in der Oberleitung. Schliesslich will ich auch mal so alt wie die Lok werden, nach Möglichkeit...
Werkstatt Modell der SBB Ae 3/6 II Spur I, ca. 90 jährig. Bild Rechts: Zahnrad Ritzel Seite (abgedeckt).
Bild Links: Wellen Seite.
Nochmals Wellenseite und Übergang Drehmomentübertragung zur Triebstange.
Trafo 220 Volt (!) und Stufenschalter Nachbildung als Funktionsmodell
Das Modell musste noch für Tinplate Gleise konstruiert werden, damals gab es nichts anderes. Nochmals Motoren-Foto.
(Die Lok habe ich nicht noch ins Studio getragen, es sind vor Ort normale Hand-Blitzaufnahmen, was eine weniger gute Qualität/Schärfe ergibt)