Mitte letzte Woche erhielt ich von Andy eine PN: Ob ich dieses Wochenende Zeit hätte. Er habe da ein Problem mit einer Lok und bräuchte mein Fachwissen. "Aha!", dachte ich, "Andy bereitet eine neue Sonderserie vor, und ich soll ihm irgendwelche unklare Details ausräumen". Allerdings hatte ich noch nie davon gehört, dass ich tatsächlich auf diesem Gebiet über irgendwelches Fachwissen verfügen würde, das nicht anderswo auch erfragt werden könnte.
Nun, ich mag Andy und freute mich in jedem Fall, ihn zu treffen. Ausserdem hatte ich zufälligerweise Zeit dieses Wochenende. Und so verabredeten wir uns spontan und kurzfristig auf den Samstagabend. Wir kamen überein, dass wir bei dieser Gelegenheit auch unsere Frauen mitnehmen könnten. Ich versicherte mich bei Andy, ob ich irgendwelche Unterlagen mitnehmen soll, was er verneinte. Dennoch packte ich sicherheitshalber das 'Ae 6/6-Loki-Spezial' und einige Fotos ein. Meinem 'Fachwissen' traue ich nämlich nicht blindlings.
Am Treffpunkt erwartete mich Andy vor der Beiz. Trotz langer Arbeitszeit hatte er es natürlich wieder mal geschafft, vor uns dort zu sein. Er führte uns ins Restaurant - an einen Achter-Tisch. Das selbst wäre noch verständlich gewesen - nur waren alle benachbarten Vierer-Tische unbesetzt. Spätestens jetzt dämmerte es mir, dass mich irgend jemand hinters Licht zu führen versuchte. Wenige Augenblicke später kreuzte Roland grinsend auf. Was ging da vor?! In Begleitung unserer Frauen, sowie dem erzhal'schen Enkelkind, Leon, waren wir also nun zu siebt, was zumindest die Frage des Tisches beantwortete. Warum zum Teufel aber war Roland mit von der Partie. Das Lügengebilde vom 'Lokproblem' stürzte in sich zusammen.
Betreten nahmen wir Platz, jedenfalls jene, die nicht schon sassen. Die Serviertochter versuchte mit der Getränkebestellung etwas Normalität in die absurde Situation zu bringen (Eine Stange, zwei Cola-Zeros, der Rest Mineral mit Kohlensäure). Ich fixierte Andy und wartete, bis sich das Rätsel löste.
Stille.
Irgendwo summte eine Fliege. Von fern drangen Klangfetzen einer klagenden Mundharmonika herüber. Die Nerven aller waren zum Bersten gespannt. Mit stählernem Blick musterte ich Andy und registrierte wie seine rechte Hand ganz langsam an seinem Körper herabglitt. Unmerklich liess ich meine Hand ebenfalls auf Gurthöhe sinken und umspannte den Griff meiner Pistole. Mit aufgerissenen Augen blickte Roland abwechslungsweise zu Andy und zu mir. Dann schluckte er, und sein Adamsapfel hüpfte nervös auf und ab - Der Mundharmonikaspieler verstummte.
Inzwischen hatte Andy seine Hand tief in einen Plastiksack gesteckt. Geräuschlos spannte ich den Hammer der Pistole und merkte, dass ich gar keine trug. Unauffällig hob ich meine Hand wieder und kratzte mich am Nasenrücken. Aber just diese kleine Unaufmerksamkeit reichte Andy, um seine Hand aus dem Plastiksack schnellen zu lassen! In der vormals freien Hand hielt er einen viereckigen Gegenstand, den er genau auf mein Herz richtete! Ich wollte mich soeben mit einem gewaltigen Hechtsprung laut schreiend von meinem Stuhl gegen Madi katapultieren, sie schützend unter mir begraben und aus der Schusslinie bringen, als ich im letzten Moment den gezückten Gegenstand erkannte. Es war ein Paket. Meine Muskeln entspannten sich wieder - aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann fiel es mir wie Schuppen vor die Augen: "EINE BOMBE!" schrie ich - und hechtete gegen Madi, wie vorher beschrieben...... Naja: fast!: Ich schrie weder: "EINE BOMBE!" noch machte ich mich mit irgend einer hechtenden Bewegung lächerlich.
Gerade noch rechtzeitig erkannte ich trotz Geschenkpapier und der tarnenden Masche die Ausmasse einer HAG-Schachtel. Wer nun denkt, dass ich "EINE LOKOMOTIVE" schrie (und gegen Madi weghechten wollte) hat einfach zuviel Fantasie .
Aber - und das ist nicht gelogen - ich stutzte. Meine Gedanken rotierten und kamen in folgender Kombination zum Stillstand: Es musste sich um ein vorbestelltes Modell handeln, dass inzwischen klammheimlich produziert wurde und mir Andi nun aushändigen wollte. Das ganze Brimborium war nichts anderes als eine überraschende Bestellungsauslieferung. Mann, was für eine tolle Geburtstagsüberraschung!
Neugiergierig fetzt ich das Papier weg. Tatsächlich: Eine HAG-Schachtel! Da es schneller ging als den Deckel wegzureissen kippte ich die Schachtel und suchte auf der Stirnseite das Etikett (Natürlich präsentierte sich mir zunächst die falsche Seite) Ich drehte die Box um - und erstarrte:
Ich lag mit meinen Überlegungen MEILENWEIT daneben!
Es war - eine Fehllieferung! - Denn diese Lok hatte ich bestimmt nie bestellt. Genau: sie war nicht grün sondern gelb. Eine Käselok? (hatte ich doch schon... vielleicht eine andere Sorte mit weniger Löchern?)
Aber irgendwas stimmte daran nicht. Es war der Schriftzug 'Yellow Jacket'. Das war kein Käse.
Langsam wurde es spannend.
Also öffnete ich die Schachtel endlich. Und, was soll ich sagen. Ich war schlichtweg sprachlos, als sich diese Maschine erblickte.
Und sprachlos bin ich eigentlich selten.
Nun zu den Fakten:
Im Hinblick auf meinen 50. Geburtstag entstand bei Andy diese Idee und reifte seit dem Frühjahr als SoSe 'Yellow Jacket' bei Andy und Heinz Urech heran. Als Besonderheit wurde die Originalwagenfarbe beim Importeur erfragt und korrekt nachgemischt (was für die ehemalige Autolackiererin bei HAG keine Herausforderung darstellte). Was aber eine Herausforderung war, ist die Bedruckung des Modells. Der Autolack ist für den Tampondruck nicht sehr gut geeignet. Dennoch sind der hauchdünne 'Yellow Jacket'-Schriftzug und die Wespe im dünnen schwarzen Filet gestochen scharf abgebildet.
Das Revisionsdatum ist - welche zusätzliche Ehre - mit meinem Geburtsdatum identisch. Überflüssigerweise nahm Andy zu dessen Überprüfung eine Lupe für mich mit. So eine Frechheit: ich bin doch erst 50 geworden und sehe noch sehr gut... (wenn ich die Brille abnehme, die Augen zusammenkneife und die Luft anhalte )
Das Schaffhauser-Wappen sowie das Depot-Schild 'Oerlikon' sind ebenfalls eine Hommage an meine Person. Es ist einfach wunderbar. Ich kann es kaum fassen!
Die Artikelnummer des Sondermodells lautet: S 11136-31. Damit hat man sich bei HAG besonnen und ist wieder auf die frühere Nummerierung zurückgekommen, statt die Artikelnummer analog zur Betriebsnummer zu wählen.
Selbstverständlich handelt es sich um die 'YJ' nicht um ein Einzelstück. Es entstanden 15 Exemplare. Diese versickerten allerdings innerhalb weniger Stunden im interessierten Forumisten-bzw. Kundenkreis von Andi. Alle 14 anderen Forumisten wussten davon, hielten aber die Klappe, bis heute! - Übrigens: Zwei Exemplare kamen nicht einmal über die Schwellen der Firma HAG hinaus